Hyperlordose LWS – Was ist ein Hohlkreuz?

Schon mal kurz vorab: Hyperlordose LWS beschreibt das Vorliegen einer mehr als normal gekrümmten Lendenwirbelsäule (LWS). Also entspricht eine Hyperlordose in der LWS einem Hohlkreuz. In dem Artikel erkläre ich dir was „mehr als normal gekrümmt“ heißt und zeige dir dementsprechend was man genauer unter einem Hohlkreuz versteht. Damit wir das auch gut beantworten können, macht es Sinn, sich erst einmal anzuschauen, durch was eine typischerweise als gesund betrachtete Körperhaltung gekennzeichnet ist. Daher empfehle ich dir den Artikel Haltungsschwächen erkennen – Beurteilung der Körperhaltung vorher zu lesen. Der Beitrag beschreibt, durch was eine „normale“ oder „gesunde“ Haltung gekennzeichnet ist. Für das Verständnis dieses Artikels, ist es außerdem keine schlechte Idee den Artikel „Aufbau der Wirbelsäule“ vorher zu lesen. Aber jetzt schauen wir uns erst einmal an, was man unter einer Hyperlordose LWS versteht. 😉

Allgemeine Infos zur Wirbelsäule

Die Ausrichtung der Wirbelsäule scheint von wesentlicher Bedeutung zu sein, um zu einer möglichst langfristig optimalen Funktion des neuromuskulären Systems, insbesondere im Bereich Rumpf, aber auch darüber hinaus, beitragen zu können.1 Die Wirbelsäule ist nicht nur dafür verantwortlich das Rückenmark zu schützen, sondern beeinflusst auch in hohem Maße die Fortbewegung.2 Außerdem bildet die Wirbelsäule mit Schultergürtel, Rippen und Becken den „Core“.3,4 Der Core umfasst dabei sowohl den aktiven als auch den passiven Bewegungsapparat.4

Als zentrale Achse sollte die Wirbelsäule bestimmte Merkmale aufweisen, um den besonderen Bedürfnissen der Alltags- und auch Sportbelastung gerecht zu werden. Dabei spielen die Krümmungen in den unterschiedlichen Bereichen der Wirbelsäule eine entscheidende Rolle. Die Krümmungen tragen einerseits dazu bei, dass Druck, der axial auf die Wirbelsäule wirkt, absorbiert werden kann. Und andererseits kann eine entsprechend ausgerichtete Wirbelsäule, das angeschlossene neuromuskuläre System dabei unterstützen effizient zu arbeiten. Sollte Lordose und/oder Kyphose mehr oder weniger als „normal“ ausgeprägt sein, kann dadurch die Stabilität der Wirbelsäule insgesamt beeinträchtigt werden.2 Falls du dein Wissen zur Wirbelsäule auffrischen möchtest, dann kann ich dir den Artikel „Aufbau der Wirbelsäule“ empfehlen.

Hyperlordose LWS – Was ist ein Hohlkreuz?

Die Lendenwirbelsäule ist mit ihrer „normal“ ausgeprägten Lordose ein bedeutender Teil der gesamten Wirbelsäulenstatik, zumal sie auch in direktem Kontakt mit dem Becken steht. Die typische Krümmung in der LWS hilft Kompressionskräften, welche durch die Schwerkraft hervorgerufen werden, zu widerstehen. Außerdem scheint eine „normal“ ausgeprägte Lordose der Lendenwirbelsäule die hinteren Bänder der Wirbelsäule vor exzessivem Stress zu schützen. Weiterhin werden vertikal wirkende Kräfte durch die Krümmung absorbiert.5

Hyperlordose LWS – Was ist ein Hohlkreuz
Abb. 1.: Links: „normal“ ausgerichtete Körperhaltung; Rechts: „Hyperlordose LWS“ also Hohlkreuz

Von einem Hohlkreuz spricht man im Allgemeinen, wenn die Krümmung im unteren Rücken größer ist als normal (siehe Abbildung 1). Dabei ist häufig auch der Bauch nach vorne gewölbt. Ein Hohlkreuz kann auch Statik der gesamten Wirbelsäule beeinflussen.

Also grundsätzlich, wenn im unteren Rücken eine größere Krümmung als normal vorliegt. Ein Hohlkreuz nennt man demzufolge auch „Hyperlordose“ (gr. „hyper“ ≙ „über“, „mehr als“).2,6 Dabei sind häufig nicht nur die Lendenwirbel für ein Hohlkreuz verantwortlich.7–10 Zur Beurteilung der Lendenwirbelsäule (oder generell auch der Gesamtstatik der Wirbelsäule) sollte allerdings mehr als nur ein Abschnitt der Wirbelsäule, in dem Fall die LWS, herangezogen werden. Das liegt daran, dass die einzelnen Wirbelsäulenabschnitte untereinander und das Becken zusammenhängen. Dabei ist die Lage des Beckens im Verhältnis zur Wirbelsäule von wesentlicher Bedeutung. Betrachtet man den Körper von der Seite, schaut man auf die sagittale Ebene. Das Gleichgewicht der Wirbelsäule innerhalb dieser sagittalen Ebene kann aufgrund von strukturellen, aber auch aufgrund von haltungsbedingten Fehlstellungen gestört sein.7  Die Beurteilung der Wirbelsäulenstatik wird mit Röntgenaufnahmen von der Seite durchgeführt (sehr genau). Nichtsdestotrotz kann die Beurteilung der Körperhaltung im Allgemeinen auch per Live-Sichtbefund oder per Foto/Video erfolgen. Wie du die Körperhaltung selbst und ohne Röntgenbild beurteilen kannst zeig ich dir in dem verlinkten Artikel. Die im nachfolgenden Text dargestellten Winkel beschreiben immer die Winkel, die beim stehenden Menschen beobachtet werden. Im Sitzen unterscheiden sich die Ausprägungen der Wirbelsäulenkrümmungen natürlich.

Bei einer Hyperlordose können zum Beispiel folgende Faktoren eine Rolle spielen.

  • Lordosewinkel
  • Pelvic Incidence (eine vlt. passende deutsche Übersetzung könnte „Beckenwinkel“ sein)

Hyperlordose LWS – Der Lordosewinkel

Der „normale“ Lordosewinkel ist kein fester Wert. Es handelt sich vielmehr um einen Bereich, der einerseits bei asymptomatischen Personen vorliegt. Also bei Menschen, die keine Rückenprobleme oder -schmerzen haben. Und andererseits ist es ein Winkelbereich von dem angenommen wird, dass er Strukturen in der Wirbelsäule nicht exzessiv stresst und außerdem dabei hilft das neuromuskuläre System effizient arbeiten zu lassen.2,6 Ein Lordosewinkel kann unterschiedlich gemessen werden. Dabei kann der Winkel verschiedene Teilabschnitte der Wirbelsäule betreffen. Um den lumbalen Lordosewinkel zu ermitteln, wird häufig der Winkel zwischen Lendenwirbel 1 und Sakralwirbel 1 (L1 – S1, siehe Abbildung 2) herangezogen. Dabei misst man von der Deckplatte L1 (obere Bereich des Wirbels) zur Basis S1 (obere Bereich des Wirbels).11 Man könnte aber auch den Winkel zwischen Lendenwirbel 1 und Lendenwirbel 5 (L1 – L5, siehe Abbildung 3) nehmen. Dabei misst man von der Deckplatte L1 (obere Bereich des Wirbels) zur Grundplatte L5 (untere Bereich des Wirbels). Die Ausprägung der lumbalen Lordose ist dabei abhängig von verschiedenen Faktoren, wie Messmethode und Alter.11,12 Neben den gerade genannten Messvarianten gibt es noch andere, auf die ich in dem Artikel nicht weiter eingehen werde.

Hyperlordose LWS Lordosewinkel
Abb. 2.: Zwei Methoden zur Ermittlung des Lordosewinkels. Links: Winkel zwischen L1-S1; Rechts: Winkel zwischen L1-L5

Nachfolgend werden Referenzbereiche der lumbalen Lordose für gesunde Menschen unterschiedlichen Alters aufgeführt. Liegt der Winkel der lumbalen Lordose über dem genannten Bereich könnte man von einer Hyperlordose sprechen.11

Kinder

  • L1-L5: 34,5° – 44,8°
  • L1-S1: 41,7° – 54,1°

Jugendliche

  • L1-L5: 39,8° – 45,6°
  • L1-S1: 51,9° – 59,1°

Erwachsene

  • L1-L5: 38,1° – 45,6°
  • L1-S1: 54,2° – 61,7°

Ältere Menschen

  • L1-S1: 56,6° – 65,9°

Hyperlordose LWS – Pelvic Incidence

Wie oben bereits beschrieben sollte man zur Beurteilung der Wirbelsäulenstatik jedoch nicht nur den Lordosewinkel allein heranziehen. Es macht Sinn auch auf die Ausprägung der Brustwirbelsäulenkyphose schauen. Auf die Kyphose der Brustwirbelsäule gehe ich aber in einem demnächst erscheinenden Artikel näher ein. Jetzt schauen wir erst einmal auf die „Pelvic Incidence“. Ich hatte oben in dem Artikel bereits erwähnt, dass eine mögliche Übersetzung von „Pelvic Incidence“ ins Deutsche vielleicht „Beckenwinkel“ heißen könnte. Da der Begriff „Pelvic Incidence“ in der internationalen Literatur sehr weit verbreitet ist, möchte ich ihn aber auch hier eher verwenden als „Beckenwinkel“.

Die Pelvic Incidence ist eine individuell variierende morphologische Konstante des Beckens und beschreibt die Position des Kreuzbeins im Becken geometrisch und gibt somit Auskunft über die Beckenstellung selbst.7 Im Wesentlichen geht es um die relative Position der Kreuzbein-Basis zur Mitte der Hüftgelenksachse.8,12,13 Die Hüftgelenksachse heißt auch „bicoxofemorale Achse“ und entspricht der Verbindungslinie der Mittelpunkte beider Hüftköpfe14. Die Pelvic Incidence wird als Winkel angegeben (siehe Abb. 3). Um den Pelvic Incidence Winkel zu ermitteln werden 2 Linien benötigt. Eine Linie verläuft als Lot senkrecht durch die Mitte der Kreuzbein-Basis. Die andere Linie verläuft von der Mitte der Hüftgelenksachse durch die Mitte der Kreuzbeinbasis und schneidet die erste Linie. Je nachdem also, wie Kreuzbein und Becken ausgerichtet sind verändert sich auch die Pelvic Incidence. Demzufolge beeinflusst die Pelvic Incidence die lumbale Lordose und die Wirbelsäulenstatik insegesamt.7,8,12,13 Es gilt die Formel: 7,8,12,13

  • PI = SS + PT
    • Dabei sind: PI, Pelvic Incidence; SS, Sacral Slope; PT, Pelvic Tilt

In der Formel gibt es zwei neue Parameter. Zum einen Sacral Slope und zum anderen Pelvic Tilt. Sacral Slope könnte man als Kreuzbeinkippung (engl. „sacral“ ≙ „auf das Kreuzbein bezogen“) und Pelvic Tilt als Beckenrotation bezeichnen (engl. „pelvic“ ≙ „auf das Becken bezogen“). Beide Werte werden auch in °Grad angegeben und sind beckenbezogene positionelle Parameter (siehe Abb. 3). Der Pelvic Tilt Winkel wird folgendermaßen gebildet: Wir brauchen 2 Linien. Eine senkrechte Linie durch das Hüftgelenkszentrum und eine Linie vom Hüftgelenkszentrum zur Mitte der Kreuzbeinbasis. Um den Sacral Slope zu ermitteln benötigen wir auch 2 Linien. Eine Gerade sitzt direkt auf der Kreuzbeinbasis. Die andere Gerade verläuft vom vordersten Punkt des Kreuzbeins horizontal zum Boden.7 Abbildung 3 zeigt Pelvic Incidence, Pelvic Tilt und Sacral Slope.

Hyperlordose LWS Becken Kreuzbein
Abb. 3.: PI, Pelvic Incidence; PT, Pelvic Tilt; SS, Sacral Slope

Zur Orientierung: Boulay et al. (2006) hatten 149 erwachsenen Personen ohne wirbelsäulenbezogene Krankengeschichte untersucht und kamen auf folgende mittlere Werte:15

Pelvic Incidence

  • Frauen: 56° ± 10
  • Männer: 53° ± 10,6

Sacral Slope

  • Frauen: 43,2° ± 8,4
  • Männer: 41° ± 8,5

Pelvic Tilt

  • Frauen: 13,6° ± 6
  • Männer: 13° ± 6

Wahrscheinlich ist, dass je größer die Pelvic Incidence, desto größer auch die lumbale Lordose. Die positionellen Parameter Sacral Slope und Pelvic Tilt, aber auch wirbelsäulenbezogene Parameter, wie die lumbale Lordose und die Kyphose im Brustwirbelsäulenbereich, können vermutlich durch Körperhaltung, Muskeltonus und Statik der unteren Extremitäten beeinflusst werden.7 Ein Core-Training kann sinnvoll sein, um Schmerzen im unteren Rücken zu minimieren oder die Wahrscheinlichkeit vom Auftreten von Schmerzen zu reduzieren.16 Falls du ein Hohlkreuz hast, dann wäre es wahrscheinlich eine gute Idee deinen Rumpf entsprechend zu trainieren..sofern nichts anderes medizinisches dagegen spricht.

Auf meinem YouTube-Kanal und Instagram-Profil gibt’s noch mehr Infos! Und insbesondere auf YouTube findest du coole Übungen für deinen Core. 🙂

Literatur
  1. American College of Sports Medicine. Clinical Exercise Physiology. (Lippincott Williams & Wilkins, 2019).
  2. Norasteh, A., Hajihosseini, E., Emami, S. & Mahmoudi, H. Assessing Thoracic and Lumbar Spinal Curvature Norm: A Systematic Review. Physical Treatments: Specific Physical Therapy Journal 183–192 (2019) doi:10.32598/ptj.9.4.183.
  3. Willardson, J. M. Developing the core. (Human Kinetics, 2014).
  4. National Academy of Sports Medicine. NASM essentials of personal fitness training. (Jones and Bartlett Publishers, Inc, 2017).
  5. Dimitrijević, V., Šćepanović, T., Milankov, V., Milankov, M. & Drid, P. Effects of Corrective Exercises on Lumbar Lordotic Angle Correction: A Systematic Review and Meta-Analysis. International Journal of Environmental Research and Public Health vol. 19 Preprint at https://doi.org/10.3390/ijerph19084906 (2022).
  6. Furlanetto, T. S., Sedrez, J. A., Candotti, C. T. & Loss, J. F. Reference values for Cobb angles when evaluating the spine in the sagittal plane: A systematic review with meta-analysis. Motricidade vol. 14 115–128 Preprint at https://doi.org/10.6063/motricidade.10890 (2018).
  7. Ferraris, L., Koller, H., Meier, O. & Hempfing, A. Die Bedeutung der sagittalen Balance in der Wirbelsäulenchirurgie. Dtsch. Ärzte-Verlag 1, 502–508 (2012).
  8. le Huec, J. C., Aunoble, S., Philippe, L. & Nicolas, P. Pelvic parameters: origin and significance. European Spine Journal 20, 564–571 (2011).
  9. Laouissat, F., Sebaaly, A., Gehrchen, M. & Roussouly, P. Classification of normal sagittal spine alignment: refounding the Roussouly classification. European Spine Journal 27, 2002–2011 (2018).
  10. Clark, M. A. & Lucett, S. C. NASM’s Essentials of Corrective Exercise Training. (Lippincott Williams & Wilkins, 2011).
  11. Furlanetto, T. S., Sedrez, J. A., Candotti, C. T. & Loss, J. F. Reference values for Cobb angles when evaluating the spine in the sagittal plane: A systematic review with meta-analysis. Motricidade vol. 14 115–128 Preprint at https://doi.org/10.6063/motricidade.10890 (2018).
  12. Geiger, E. v., Müller, O., Niemeyer, T. & Kluba, T. Adjustment of pelvispinal parameters preserves the constant gravity line position. Int Orthop 31, 253–258 (2007).
  13. Abelin-Genevois, K. Sagittal balance of the spine. Orthopaedics and Traumatology: Surgery and Research vol. 107 Preprint at https://doi.org/10.1016/j.otsr.2020.102769 (2021).
  14. von Haaren, F. F. W. & Friedrich-Wilhelm, F. Bestimmung der spinopelvinen Parameter bei Patienten mit Fragilitätsfrakturen des Beckenrings. (2019).
  15. Boulay, C. et al. Sagittal alignment of spine and pelvis regulated by pelvic incidence: Standard values and prediction of lordosis. European Spine Journal 15, 415–422 (2006).
  16. Chang, W.-D., Lin, H.-Y. & Lai, P.-T. Core strength training for patients with chronic low back pain. J Phys Ther Sci 27, 619–622 (2015).

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