Haltungsschwächen erkennen – Körperhaltung beurteilen (statisch)

Du möchtest Haltungsschwächen erkennen? In dem Artikel zeig ich dir was du machen kannst, um Abweichungen von der „Norm“ zu identifizieren. Es geht darum, wie du die gewöhnliche Körperhaltung im Stehen relativ umfassend analysieren kannst. Haltungsschwächen bzw. Fehlhaltungen, wie beispielsweise ein Rundrücken, können bei vielen Menschen beobachten werden. Die Ursachen für von „der Norm“ abweichende Haltungen können dabei aber sehr vielfältig sein – Alter, knöcherne Veränderungen, Krankheiten, aber auch einseitige Belastungen sowie Muskeltonus1,2. Die statische Beurteilung der Körperhaltung kann genutzt werden, um zu schauen, inwieweit sich der typische Stand von einem als „normal“ angesehenen Bereich unterscheidet. Demzufolge kannst du die Haltungsanalyse in Kombination mit einer umfassenden Anamnese (u. a. Krankengeschichte und Alltagsgewohnheiten) auch nutzen, um muskuläre Dysbalancen zu identifizieren. Muskuläre Dysbalancen und ihre Folgen thematisiere ich in kommenden Beiträgen. In dem Artikel geht es erst einmal um die Grundlagen.

Eine gute Haltung geht davon aus, dass das neuromuskuläre System optimal funktionieren kann und mit dem kleinstmöglichen Energieaufwand gewünschte Handlungen vollzieht3. Dementsprechend ist die Körperhaltung natürlich kontextbezogen. Möglicherweise haben Leistungssportler in bestimmten Körperbereichen Abweichungen von der Norm, um in ihrem Sport optimal funktionieren zu können.

Nichtsdestotrotz scheint es für die generelle Funktion und Gesundheit des Körpers wichtig zu sein, dass die Ausrichtung der einzelnen Körperregionen einem als optimal betrachteten Bereich folgen. Dadurch wird das muskuloskelettale System vor dem Auftreten von exzessiven Kräften geschützt. Außerdem wird durch die, weiter unten im Artikel beschriebene, optimale Ausrichtung des Körpers, eine für die Ausnutzung des vollen Bewegungsumfangs verschiedener Gelenke notwendige Grundlage geschaffen. Eine „schlechte“ Körperhaltung kann zu vielen muskuloskelettalen Problemen beitragen3. Demzufolge kannst du die Haltungsanalyse in Kombination mit einer umfassenden Anamnese (u. a. Krankengeschichte und Alltagsgewohnheiten) auch nutzen, um muskuläre Dysbalancen zu identifizieren. Muskuläre Dysbalancen und ihre Folgen thematisiere ich in kommenden Beiträgen. In dem Artikel geht es erst einmal um die Grundlagen.

 

Haltungsschwäche erkennen
Haltungsschwäche erkennen – Image by mohamed Hassan from Pixabay

Körperhaltung beurteilen und Haltungsschwächen erkennen

Die Beurteilung der Körperhaltung kann statisch (ohne Bewegung) und dynamisch (bei bestimmten Bewegungen) erfolgen. Um Haltungsschwächen und eventuelle Kompensationsmechanismen oder Abweichungen anderer Ursache umfassend bewerten zu können, ist es sinnvoll, dass statische sowie diverse dynamische Untersuchungen durchgeführt werden4,5. In dem Artikel stelle ich die statische Beurteilung der Körperhaltung genauer. Wie man die Ausrichtung des Körpers unter dynamischen Bedingungen untersucht, zeige ich dir in separaten Artikeln, die ich in den nächsten Wochen veröffentlichen werde.

Unter statischen Bedingungen, also im Stand, lässt sich die gewöhnliche Ausrichtung der Wirbelsäule inklusive Becken- und Schultergürtel gut bestimmen. Dazu soll die zu untersuchende Person typischerweise ihren gewöhnlichen Stand einnehmen, hierbei aber die Füße hüftbreit auseinander aufstellen und die Arme an den Seiten halten4,5. Dann schaut man sich den Körper in der Regel von 3 Seiten an – von vorne, von der Seite, von hinten. Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen liefern einen umfangreichen Eindruck der Körperhaltung unter unbeweglichen Bedingungen. Um die Körperhaltung gut beurteilen zu können, macht es Sinn systematisch vorzugehen. Da, wie beim Hausbau auch, eine solide Basis das Fundament bildet, beginnt die Einschätzung der Körperhaltung typischerweise bei den Füßen und endet beim Kopf4. Natürlich kann man aber auch beim Kopf-/Halsbereich anfangen und sich dann nach und nach zu den Füßen vorarbeiten.3 Anfangs kann die visuelle Beurteilung sehr schwierig sein, aber nimmt man sich ausreichend Zeit zu üben, wird man erwartungsgemäß besser. Zweckmäßig ist auch die Nutzung einer Video- oder Fotokamera mit Stativ, um die Bilder im Nachhinein und in Ruhe bewerten zu können. Außerdem kann man dann mit Hilfe von entsprechender Software (z. B. Kinovea eignet sich für Fotos, Videos und ist frei verfügbar) auch Referenzlinien ins Bild einfügen.

Haltungsschwächen erkennen – Betrachtung von vorne

Oft verschafft man sich einen ersten Eindruck der Körperhaltung durch die Betrachtung von vorne. Die Abbildung unten zeigt dir auf was bei der Untersuchung von vorne geachtet werden kann. Um Abweichungen von „normal“ zu identifizieren, kann man sich unterschiedliche Linien vorstellen. Eine Hauptlinie teilt den Körper von Kopf bis Fuß in eine zwei gleichgroße Hälften – links und rechts. Dann verbindet jeweils eine horizontale Gerade beide Schultern sowie beide Beckenseiten. Und letztlich teilt jeweils eine Linie beide Beine in links und rechts. Die Kennzeichen einer „normalen“ Haltung sind in der Abbildung zu erkennen. Merken kann man sich grundsätzlich, dass die jeweiligen Seiten typischerweise auf einer Höhe liegen und normalerweise keine Rotation oder Seitneigung zu erkennen ist4.

Haltungsschwächen - Beurteilung Körperhaltung
Abb.: Haltungsschwächen erkennen – Die Körperhaltung beurteilen; Ansicht von vorne, von der Seite, von hinten (vgl. Clark & Lucett, 2011)

Betrachtung von der Seite

Die Ansicht von der Seite ist für die Diagnose vieler typischer Fehlhaltungen sehr wesentlich (Hohlkreuz, Rundrücken usw.). Auch hier kann man sich, wie in der Abbildung ersichtlich, „Normalwert“-Linien vorstellen, die bei der Beurteilung der Haltung helfen. Eine ideale Linie geht vom äußeren Gehörgang durch die Mitte der Schulter, danach zentral durch das Hüftgelenk sowie den Oberschenkel und endet etwas vor dem Knöchel. Größere Unterschiede davon scheinen als Abweichungen von einer normalen Haltung betrachtet zu werden4.

Die Abbildung zeigt auch, dass eine „Hilfs-Gerade“ horizontal durch den Lendenwirbelsäulen-Hüft-Komplex – vom Knochenvorsprung am vorderen oberen Rand der Darmbeinschaufel („Spina iliaca anterior superior“) zum Knochenvorsprung am hinteren oberen Rand der Darmbeinschaufel („Spina iliaca posterior superior“) verläuft4,6,7. Sind die beiden Bereiche auf gleicher Höhe spricht man von einer neutralen Beckenstellung. Liegt der vordere Bereich weiter unten ist das Becken nach vorne gekippt. Befindet sich der hintere Bereich unter dem vorderen Bereich ist das Becken dementsprechend nach hinten gekippt6. Die Beckenausrichtung kann von vielen Faktoren abhängig sein. Selbst bei asymptomatischen Personen (keine Schmerzen oder Probleme im Lendenwirbelsäulen-Hüft-Bereich) kann eine Kippung nach vorne oder nach hinten beobachtet werden. Eine Neigung nach vorne scheint häufiger als eine Kippung nach hinten7. Demzufolge kann also eine leichte Beckenneigung nach vorne als eher typisch betrachtet werden5 und bis zu 6 – 7° Kippung werden anscheinend noch als normal angesehen7. Die Einschätzung der Beckenposition kann mit Hilfe unterschiedlicher Messmethoden erfolgen. Reliabilität und Validität der verschiedenen Methoden können recht unterschiedlich sein. Gerne verweise ich für einen Überblick über unterschiedliche Verfahren auf Suits et al. (2021).

Betrachtung von hinten

Bei der Betrachtung von hinten stellt man sich auch wieder eine Hauptlinie und mehrere Hilfslinien vor. Wie die Abbildung zeigt, teilt die Hauptlinie den Körper in zwei gleichgroße Hälften – links und rechts. Die Hilfslinien orientieren sich an den Schultern bzw. Schulterblättern, dem Becken und den Beinen sowie Füßen. Die Beurteilung der Körperhaltung erfolgt bei der Betrachtung von hinten auch im Hinblick auf exzessive Seitneigung oder Rotation. Außerdem wird der Abstand sowie die Ausrichtung der Schulterblätter begutachtet4.

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Literatur

  1. Roghani, T., Khalkhali Zavieh, M., Dehghan Manshadi, F., King, N. & Katzman, W. Age-related hyperkyphosis- update of its potential causes and clinical impacts—narrative review. Aging Clin Exp Res 29, 567–577 (2017).
  2. Katzman, W. B. et al. Study of Hyperkyphosis, Exercise and Function (SHEAF) Protocol of a Randomized Controlled Trial of Multimodal Spine-Strengthening Exercise in Older Adults With Hyperkyphosis. Phys Ther 96, 371–381 (2016).
  3. American College of Sports Medicine. Clinical Exercise Physiology. (Lippincott Williams & Wilkins, 2019).
  4. Clark, M. A. & Lucett, S. C. NASM’s Essentials of Corrective Exercise Training. (Lippincott Williams & Wilkins, 2011).
  5. Cook, J. B. C. Brukner & Khan’s Clinical Sports Medicine: Injuries. (Mcgraw-Hill , 2017).
  6. Suits, W. H. Clinical measures of pelvic tilt in physical therapy. International Journal of Sports Physical Therapy 16, 1366–1375 (2021).
  7. Herrington, L. Assessment of the degree of pelvic tilt within a normal asymptomatic population. Manual Therapy 16, 646–648 (2011).

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