Adduktoren Aufbau
Der Begriff Adduktoren (kommt vom lat. „adducere“ ≙ „heranführen“) bezeichnet im allgemeinen sportbezogenen oder medizinischen Sprachgebrauch meist eine Gruppe von Muskeln, die an der Innenseite der Oberschenkel liegen. Adduktoren bzw. Muskeln, die als Adduktoren fungieren gibt es aber natürlich auch in anderen Körperregionen. In diesem Artikel geht es ausschließlich um die Adduktorengruppe, die auf das Hüftgelenk wirkt. Das KOSTENLOSE PDF gibt’s unten zum Download. Die wahrscheinlich wichtigsten Adduktoren, die zu dieser Adduktorengruppe gehören sind Hauptthema dieses Artikels und im Folgenden aufgelistet sowie in Abbildung 1 dargestellt:
(1) M. adductor magnus (lat. „magnus“ ≙ „groß“)
(2) M. adductor longus (lat. „longus“ ≙ „lang“)
(3) M. adductor brevis (lat. „brevis“ ≙ „kurz“)
(4) M. gracilis (lat. „gracilis“ ≙ „schlank“ oder „dünn“)
(5) M. pectineus (lat. „pectineus“ kommt von „pecten“ ≙ „Kamm“)
Folgende Muskeln können unter Umständen auch bei der Adduktion unterstützend wirken:
M. obturatorius externus; M. quadratus femoris; M. gluteus maximus
M. adductor magnus
Betrachtet man die Oberschenkelvorderseite kann man den Adductor magnus nur teilweise erkennen (siehe Abb. 1). Der Muskel wird zur Oberfläche hin von den Mm. adductor brevis und longus verdeckt. Der M. adductor magnus liegt vor den Hamstrings (genauer vor den Mm. semimembranosus und semitendinosus). Der Muskel hat einen weitreichenden Ursprung, der vom Schambeinast („Ramus inferior ossis pubis“) bis zu dem unteren Bereich auf der Außenseite eines rauen Knochenvorsprung am Sitzbein reicht („Os ischii“ ≙ „Sitzbein“; „Tuber ischiadicum“ ≙ der genannte „Knochenvorsprung“).
Wie in Abb. 2 und 3 zu erkennen ist hat der Muskel unterschiedliche Verläufe. Der Anteil des Muskels, der vorne am Schambeinast entspringt, verläuft auf dem Weg zu seinem Ansatz nach außen und etwas nach hinten, um dann einerseits am mittleren Bereich einer Knochenleiste am Oberschenkelknochen und andererseits aber auch fast horizontal am Oberschenkel anzusetzen („Linea aspera“ ≙ die genannte Knochenleiste; „Labium mediale“ ≙ der mittlere Bereich bzw. die „mittlere Lippe“ der Linea aspera) (Jeno & Schindler, 2018; Palastanga & Soames, 2015).
Während sich der Anteil des Adductor magnus, der vom Schambeinast vorne entspringt, dreht, um dann am Oberschenkelknochen anzusetzen, zieht der hintere Teil des Muskels, der vom Sitzbein entspringt, gerade hinunter, um an einer Knochenerhebung am inneren Gelenkknorren des Oberschenkels zu inserieren (siehe Abb. 2 und 3; „Epicondylus medialis femoris“ ≙ der genannte Gelenkknorren; „Tuberculum adductorium“ ≙ die genannte Knochenerhebung). Möglicherweise strahlen einige Fasern des Muskels in das Innenband („Ligamentum collaterale mediale“) des Kniegelenks mit ein (Palastanga & Soames, 2015). Eine kleine und unvollständige, nicht bei allen Erwachsenen vorhandene (Tubbs et al., 2011), beckennahe Abspaltung des Adductor magnus wird als „M. adductor minimus“ bezeichnet (Sobotta, 2017; Waschke, Böckers & Paulsen, 2019). Bei Betrachtung der Abbildungen 2 und 3 fällt auf, dass der Bereich zwischen den beiden Ansätzen des Adductor magnus so eine Art Öffnung bildet. Hierbei handelt es sich um den sogenannten „Hiatus adductorius“. Durch diese Öffnung verlaufen u. a. die große Oberschenkelarterie sowie die große Oberschenkelvene (Waschke, Böckers & Paulsen, 2019; genannte Arterie ≙ Arteria femoralis; genannte Vene ≙ Vena femoralis).
M. adductor longus
Wie oben bereits beschrieben liegt der Adductor longus vor dem M. adductor magnus und verdeckt diesen teilweise. Er entspringt vorne am Schambein („Os pubis“) und zieht herunter und nach außen zur Oberschenkelinnenseite, um dort auch an der Knochenleiste „Linea aspera“ hinter dem inneren Kopf des Quadriceps anzusetzen (der innere oder mediale Kopf des Quadriceps ist der „Vastus medialis“).
M. adductor brevis
Der Ursprung dieses kurzen Muskels liegt vorne, etwas seitlich, am Schambein sowie am unteren Schambeinast (vgl. Abb. 5; „Schambein“ ≙ „Os pubis“; „unterer Schambeinast“ ≙ „Ramus inferior ossis pubis“). Vom Schambein verläuft der Adductor brevis schräg nach unten, um an der oberen Hälfte der o. g. Knochenleiste des Oberschenkels anzusetzen. Betrachtet man den Oberschenkel von vorne wird der Muskel oben vom M. pectineus und unten vom Adductor longus verdeckt.
M. gracilis
Der Gracilis (Abb. 6) zieht als langer, dünner Muskel vom Schambein vorne sowie vom unteren Schambeinast hinunter, um an der Innenseite des Schienbeins unterhalb des inneren Gelenkknorrens anzusetzen („Schambein“ ≙ „Os pubis“; „unterer Schambeinast“ ≙ „Ramus inferior ossis pubis“; „innerer Gelenkknorren des Schienbeins“ ≙ „Condylus medialis tibiae“).
Im Wesentlichen hat der Gracilis einen gemeinsamen Ansatz mit den Mm. sartorius und semitendinosus. Dieser kollektive Ansatzbereich wird auch als „Pes anserinus superficialis“ bezeichnet (Sobotta, 2017; Waschke, Böckers & Paulsen, 2019; durch die 3 beteiligten Sehnen erinnert der gemeinsame Ansatz an einen Gänsefuß → „Pes“ ≙ „Fuß“; „Anserinus“ ≙ „Gans“; „Superficialis“ ≙ „oberflächlich“).
M. pectineus
Der Pectineus entspringt relativ weitläufig Sein Ursprung liegt an einer Knochenkante am oberen Schambeinast, an einem Knochenhöckerchen des Schambeins sowie an einer Verbindungsstelle zwischen Schambein und Darmbein (die o. g. „Knochenkante“ ≙ „Pecten ossis pubis“; „oberer Schambeinast“ ≙ „Ramus superior ossis pubis“; das o. g. „Knochenhöckerchen“ ≙ „Tuberculum pubicum“; die „Verbindungsstelle zwischen Schambein und Darmbein“ ≙ „Eminentia iliopubica“). Zu seinem Ansatz zieht er nach hinten unten und nach außen zum Oberschenkel. Am oberen Oberschenkel strahlt er in eine Knochenleiste ein (die genannte „Knochenleiste“ ≙ „Linea pectinea femoris“) (Palastanga & Soames, 2015).
M. obturatorius externus
In der deutschen Sprache wird der Muskel (Abb. 8 und 9) auch als „äußerer Hüftlochmuskel“ bezeichnet. Hinter dem lateinischen Namen kann man das Verb „obturare“ vermuten, welches mit „verstopfen“ übersetzt werden kann. Ein Nomen dazu wäre z. B. „Abdichtung“. „Externus“ deutet auf „äußerlich“ hin. Dementsprechend lässt sich mutmaßen, dass der Muskel etwas abdichtet. Und tatsächlich liegt der Muskel über einer Öffnung im Becken, dem „Foramen obturatum“.
Die äußere Fläche einer Membran zwischen Schambein und Sitzbein sowie ihre knöchernen Ränder dienen dem Obturatorius externus als Ursprung (die genannte Membran ≙ „Membrana obturatoria“) und eine Vertiefung auf der Rückseite des Oberschenkelhalses nutzt der Muskel als Ansatz (die genannte Vertiefung ≙ „Fossa trochanterica“).
M. quadratus femoris
Auf die Form und Lage des Muskels (Abb. 10 und 11) deutet bereits der lateinische Name hin. Dieser quadratische Muskel entspringt an einem rauen Knochenvorsprung am Sitzbein (der genannte Knochenvorsprung ≙ „Tuber ischiadicum“). Er zieht nach außen zum Oberschenkel („Femur“), um in einer Erhebung der Leiste zwischen den beiden Rollhügeln anzusetzen (die Leiste ≙ „Crista intertrochanterica“; die Erhebung ≙ „Tuberculum quadratum“; der kleine Rollhügel ≙ „Trochanter minor“; der große Rollhügel ≙ „Trochanter major“).
M. gluteus maximus
Wie in Abbildung 12 und 13 gut zu erkennen ist, hat der große Gesäßmuskel hat einen weiten Ursprung. Im Wesentlichen entspringt er am Darmbein, Kreuzbein, an einem Band im hinteren Teil des Beckens und einer großen Faszie im Lendenbereich (die Ursprünge etwas genauer: „Facies glutea“ am „Os ilium“; „Facies posterior“; „Lig. Sacrotuberale“; „Fascia thoracolumbalis“). Der kraniale Teil des Muskels zieht nach außen und hinunter, um auf der Außenseite des Oberschenkels in einen derben Bindegewebsstrang als Teil einer großen Faszie, welche die Muskeln des Oberschenkels umgibt, einzustrahlen. Der kaudale Teil des Gluteus maximus setzt an einem rauen Bereich zwischen dem großen Rollhügel und einer Knochenleiste am Oberschenkel an (der genannte Bindegewebsstrang ≙ „Tractus iliotibialis“; die genannte Faszie ≙ „Fascia lata“; der raue Bereich ≙ „Tuberositas glutea“; die Leiste ≙ „Linea aspera“) (Waschke, Böckers & Paulsen, 2019).
Adduktoren Funktionen
Die Muskeln der Adduktorengruppe werden in erster Linie ihrem Namen gerecht und adduzieren im Hüftgelenk. Das heißt, der Oberschenkel wird zur Körpermitte herangeführt (in der Frontalebene). Gemäß Palastanga & Soames (2015) sind die Adduktoren in der anatomischen Normalstellung* am stärksten.
Beispiele:
- Du hast einen Ball zwischen den Beinen und versuchst den Ball zu zerdrücken. Dabei ist die Bewegung vielleicht nicht so groß oder auf den ersten Blick auch gar nicht zu erkennen, aber die Adduktoren sind der maßgebliche Treiber hinter dieser Aktion.
- Du liegst auf dem Rücken und deine Beine zeigen gestreckt senkrecht zur Decke. Das ist Position 1. Jetzt spreizt du die Beine weit auseinander (quasi ein Spagat, bloß…naja…halt anders 😊) und hältst die Position. Das ist Position 2. Und wenn du nun die Beine wieder von Position 2 zurück zu Position 1 bringst, wird das im Wesentlichen durch die Adduktoren ermöglicht.
Funktionelle Aktivität
Neben der Adduktion als Hauptfunktion der Adduktorengruppe helfen die Muskeln noch dabei weitere Bewegungen auszuführen. Die Adduktoren stabilisieren das Becken im Einbeinstand (Waschke, Böckers & Paulsen, 2019) und beim Gehen (Sobotta, 2017; Waschke, Böckers & Paulsen, 2019). Waschke, Böckers & Paulsen (2019) stellen fest, dass im Prinzip alle Muskeln der Adduktorengruppe an der Beugung und Außenrotation im Hüftgelenk beteiligt sind, weil sie vorne über das Hüftgelenk verlaufen, vor der Transversalachse liegen und zur Rückseite des Oberschenkels ziehen (was die Außenrotation betrifft scheint der M. gracilis gem. Hochschild (2016) sowie Palastanga & Soames (2015) keine Rolle zu spielen; der Teil des Adductor magnus der am Sitzbein entspringt ist nach Palastanga & Soames (2015) und Waschke, Böckers & Paulsen (2019) bei der Beugung im Hüftgelenk nicht beteiligt, aber hilft bei der Streckung im Hüftgelenk).
Möglicherweise ist es auch noch nicht vollends geklärt, ob die Muskeln Adductor longus und Adductor magnus eher bei der Innen- oder bei der Außenrotation mitwirken. Möglicherweise hängt die dahingehende Funktionsweise zumindest des Adductor magnus von der Oberschenkelstellung ab (Palastanga & Soames, 2015).
Der M. gracilis ist zweigelenkig und wirkt dementsprechend auch auf das Kniegelenk, indem er hier die Kniebeugung und die Innenrotation unterstützt (Palastanga & Soames, 2015; Waschke, Böckers & Paulsen, 2019). M. obturatorius externus, M. quadratus femoris und M. gluteus maximus können bei der Adduktion auch unterstützend wirken. Beim großen Gesäßmuskel wird eine Adduktion durch den kaudalen Anteil vollzogen (Waschke, Böckers & Paulsen, 2019). Wobei die Hauptfunktionen des Gluteus maximus darin bestehen im Hüftgelenk, insbesondere aus einer gebeugten Stellung, zu strecken und nach außen zu rotieren. Außerdem kann dieser Muskel durch seinen Ansatz am Iliotibialtrakt auch eine Abduktion Hüftgelenk und eine Kniestreckung unterstützen. Durch den Ansatz am Tractus iliotibialis ist auch eine stabilisierende Wirkung auf die Knieaußenseite zu beobachten. Darüber hinaus spielt der große Gesäßmuskel eine wichtige Rolle bei der Beckenstabilisierung im Stand sowie beim Gehen (Palastanga & Soames, 2015).
* Anatomische Normalstellung → aufrechter Stand, Gesicht zeigt nach vorne, Arme hängen an den Seiten herab, Handflächen zeigen nach vorne (oder zum Körper), Beine nebeneinander (hüftbreit auseinander), Füße zeigen gerade nach vorne (Sobotta, 2017)
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Literatur
- Hochschild, J. (2016). Functional anatomy for physical therapists. Thieme.
- Jeno, S. H., & Schindler, G. S. (2018). Anatomy, bony pelvis and lower limb, thigh adductor magnus muscles. In StatPearls [Internet]. StatPearls Publishing.
- Palastanga, N., & Soames, R. (2015). Anatomie und menschliche Bewegung: Strukturen und Funktionen. Elsevier, Urban & Fischer Verlag.
- Sobotta, J. (2017). Sobotta, Atlas der Anatomie Band 1: Allgemeine Anatomie und Bewegungsapparat. Deutschland: Urban & Fischer in Elsevier.
- Tubbs, R. S., Griessenauer, C. J., Marshall, T., Dennison, C. P., Shoja, M. M., Loukas, M., … & Cohen-Gadol, A. A. (2011). The adductor minimus muscle revisited. Surgical and radiologic anatomy, 33(5), 429-432.
- Waschke, J., Böckers, T. M., & Paulsen, F. (Eds.). (2019). Sobotta Lehrbuch Anatomie. Elsevier Health Sciences.
Anmerkung:
Wenn im Text die Quelle zu den Informationen nicht separat angegeben ist, dann sind die Erkenntnisse in jeder der o. g. Quellen 3, 4, 6 zu finden.
Die anatomischen Begriffe bzw. die nicht fachspezifischen Vorsilben sind aus Sobotta (2017).
Die anatomischen Abbildungen wurden mit Anatomy Learning erstellt. https://anatomylearning.com/