Stell dir vor, ein Hersteller bringt einen neuen Laufschuh auf den Markt und behauptet, er mache nachweislich schneller. Um das fair zu testen, würdest du wahrscheinlich eine Gruppe von Läuferinnen mit dem neuen Schuh ausstatten und eine zweite, identische Gruppe mit dem alten Modell laufen lassen – unter exakt gleichen Bedingungen. Genau dieses Prinzip der fairen, kontrollierten Überprüfung wendet die Forschung in einer Randomisierten Kontrollierten Studie, kurz RCT, an.
Was macht ein RCT aus?
Eine randomisierte kontrollierte Studie – kurz RCT – ist ein prospektives Studiendesign, bei dem eine Gruppe von Teilnehmenden über einen definierten Zeitraum begleitet wird¹. RCTs gelten als der „Goldstandard“ der evidenzbasierten Medizin, wenn es darum geht, eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zuverlässig nachzuweisen¹. Insbesondere bei der Frage, ob eine bestimmte Intervention – etwa ein Medikament, eine Trainingsmethode oder ein Nahrungsergänzungsmittel – tatsächlich eine Wirkung entfaltet, liefert ein RCT die belastbarsten Antworten¹.
Die besondere Stärke beruht auf fundamentalen methodischen „Zutaten“:
- Das Zufallsprinzip („randomisiert“) Das „R“ in RCT steht für „randomisiert“ und bedeutet, dass die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip – wie bei einem Münzwurf oder mithilfe spezieller Verfahren – einer der Gruppen zugeteilt werden.¹ Dieser Schritt minimiert systematische Fehler (Bias) und den Einfluss von Störfaktoren (Confounding).¹ Die Randomisierung sorgt dafür, dass bekannte und unbekannte Störfaktoren (z. B. Alter, Lebensstil, genetische Faktoren) zu Beginn der Studie zufällig verteilt sind.¹ Dadurch entsteht eine Strukturgleichheit zwischen den Gruppen, die sie direkt vergleichbar macht.¹ Jeder am Ende beobachtete Unterschied kann somit mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Intervention zurückgeführt werden.¹
- Die Kontrollgruppe („kontrolliert“) Um die Wirkung einer neuen Intervention wirklich beurteilen zu können, ist immer ein Vergleichsmaßstab notwendig.¹ Daher wird in einem RCT die Interventionsgruppe (die die zu untersuchende Behandlung erhält) mit einer Kontrollgruppe verglichen.¹ Nur durch diesen direkten Vergleich kann sichergestellt werden, dass eine beobachtete Verbesserung nicht auf z. B. den Placebo-Effekt, den natürlichen Krankheitsverlauf oder andere äußere Faktoren zurückzuführen ist.¹
- Trial = Versuch, Test oder in dem Fall Studie
- Optional, aber oft sinnvoll – die Verblindung: Um zu verhindern, dass Erwartungen der Teilnehmenden oder Forschenden das Ergebnis unbewusst beeinflussen, werden RCTs idealerweise „doppelt verblindet“ durchgeführt.¹ Das bedeutet, weder die Teilnehmenden noch die Behandelnden oder Auswertenden wissen, wer die echte Intervention und wer das Placebo erhält.¹ Dieses Vorgehen reduziert psychologische Effekte wie den Placebo-Effekt oder den Rosenthal-Effekt.¹
Arten von RCTs
Nicht alle RCTs sind gleich. Man unterscheidet zwischen Efficacy-RCTs, die unter streng kontrollierten Bedingungen durchgeführt werden, und Effectiveness-RCTs, die näher an der realen Versorgungspraxis liegen.¹
- Efficacy-RCTs prüfen unter streng kontrollierten Bedingungen, ob eine Intervention sicher ist und tatsächlich wirkt. Hier geht es um die Frage: Kann die Behandlung unter Idealbedingungen funktionieren?¹
- Besonderheiten: Unter kontrollierten Bedingungen, hohe interne Validität.¹
- Effectiveness-RCTs (auch pragmatische Studien genannt) untersuchen die Wirksamkeit eher unter Alltagsbedingungen, zum Beispiel in einer Hausarztpraxis. Statt gegen ein Placebo wird die neue Behandlung meist mit der üblichen Standardversorgung verglichen. Die Behandlungsprotokolle sind weniger strikt, Ärzt:innen können Dosierungen oder Abläufe anpassen, und die Teilnehmenden sind oft vielfältiger (z. B. unterschiedliches Alter, Vorerkrankungen).¹
- Besonderheiten: unter Alltagsbedingungen, höhere externe Validität.¹
Arten von Kontrollgruppen
Ein entscheidender Schritt beim Planen eines RCT ist die Auswahl der Intervention.¹ Forschende müssen folgendes festlegen:¹
- Dosierung (wie viel)
- Häufigkeit (wie oft)
- Dauer (wie lange).
Dabei gilt es, stets ein Gleichgewicht zwischen Wirksamkeit und Sicherheit zu finden.¹ Auch die Machbarkeit spielt eine Rolle:¹
- Und ist sie für die Teilnehmenden überhaupt praktikabel und akzeptabel (z. B. drei Tabletten täglich oder wöchentliche Studienbesuche über Monate)?
- Lässt sich die Intervention verblinden?
Die Gewichtung hängt stark von der Erkrankung ab:¹
- Bei lebensbedrohlichen Krankheiten (z. B. metastasierter Krebs) wird oft die höchste noch verträgliche Dosis gewählt, um Wirksamkeit nachzuweisen.
- Bei harmloseren, aber belastenden Erkrankungen (z. B. Reizdarmsyndrom) steht die Sicherheit im Vordergrund.
- Bei Präventionsmaßnahmen (z. B. Impfungen bei Gesunden) ist Sicherheit oberstes Gebot.
Ebenso wichtig ist die Wahl der Kontrollgruppe. Sie sorgt dafür, dass Unterschiede im Ergebnis tatsächlich auf die Intervention zurückzuführen sind.¹ Welche Kontrollgruppe gewählt wird, hängt von der Forschungsfrage ab. Kontrollgruppen können unterschiedliche Faktoren „abfangen“. Dazu gehören z. B. die Erwartungen der Teilnehmenden, die Zeit/Aufmerksamkeit durch Teilnahme an der Studie oder den Einfluss der Behandelnden.¹
Arten von Kontrollgruppen
Kontrollgruppen bekommen nicht die Behandlung, die untersucht werden soll. Welche Behandlung dann die Kontrollgruppe erhält, ist entscheidend für die Aussagekraft eines RCT.¹ Jede Variante kontrolliert unterschiedliche Einflussfaktoren – von Erwartungseffekten bis hin zur sozialen Interaktion.¹ Neben klassischen Placebos kommen je nach Intervention auch folgende Maßnahmen in Betracht:
- Sham-Kontrolle (z. B. bei Geräten oder Akupunktur)
- Zeit-/Aufmerksamkeitskontrolle
- Aktive Vergleichstherapie
Was sind Zeit- und Aufmerksamkeitskontrollen?
Zeit- und Aufmerksamkeitskontrollgruppen sind eine spezielle Form der Kontrollgruppe, die vor allem in nicht-pharmakologischen Studien eingesetzt wird. So beispielsweise bei Verhaltenstherapien, Trainingsprogrammen oder Ernährungsinterventionen.¹
Was ist das Ziel?
- Sie sollen nicht die Intervention selbst, sondern den Kontext, die soziale Interaktion und die Aufmerksamkeit, die Teilnehmende durch die Studie erfahren, kontrollieren (sie kontrollieren also den Effekt der Untersuchung selbst).¹
Beispiel
- In einer Studie zur Gewichtsreduktion erhält die Interventionsgruppe Coaching, Übungsmöglichkeiten und einen Ernährungsplan. Die Kontrollgruppe bekommt ebenfalls regelmäßige Sitzungen (z. B. mit einer Ernährungsberaterin), die allgemeine Informationen zu Nährstoffen und Lebensmitteln vermittelt, aber ohne konkrete Maßnahmen zur Gewichtsreduktion.¹
Warum macht man das?
- Ohne solche Kontrollen könnte man fälschlich annehmen, dass die Intervention wirkt, obwohl der Effekt vielleicht nur durch die Aufmerksamkeit der Forschenden, die soziale Unterstützung oder die regelmäßige Beschäftigung mit dem Thema entstanden ist.¹
Was sind Sham-Kontrollen?
Sham-Kontrollen werden in RCTs eingesetzt, die medizinische Geräte oder Verfahren wie Akupunktur untersuchen.¹ Teilnehmende in der Kontrollgruppe erhalten dabei eine Behandlung, die in Aufbau und Ablauf der echten Intervention ähnelt, jedoch ohne deren aktive Komponente.¹
Was ist das Ziel?
- Ziel dieser Kontrollform ist es, die physiologischen Effekte der Intervention zu minimieren, während die psychologischen Einflüsse (z. B. Erwartung, Umgebung) erhalten bleiben.¹ So lässt sich der spezifische Wirkanteil der Intervention isolieren.
Beispiel
- Ein typisches Beispiel ist die Sham-Akupunktur: Hier werden dieselben Nadeln, dieselbe Dosierung, dieselbe Besuchsfrequenz und dieselbe Umgebung verwendet wie in der Interventionsgruppe.¹ Der entscheidende Unterschied liegt in der Position und Tiefe der Nadelinsertion. Die Position erfolgt an „inaktiven“ Stellen und weniger tief.¹
Was sind aktive Vergleichstherapien?
Eine aktive Vergleichstherapie dient in einem RCT als etablierter Maßstab, um die Wirkung einer neuen Intervention zu bewerten.¹ Dabei wird die neue Behandlung mit einer bereits anerkannten, wirksamen Therapie verglichen, die für die betreffende Erkrankung zugelassen ist.¹ Wenn die aktive Vergleichstherapie in einem RCT sowohl dem Placebo als auch der neuen, zu untersuchenden, Behandlung überlegen ist, stärkt dies die Schlussfolgerung, dass die neue Behandlung keinen relevanten Effekt zeigt¹.
Ein Beispiel
- Ein neues Blutdruckmedikament wird gegen ein bereits von der FDA (U.S. Food and Drug Administration) zugelassenes Präparat getestet.¹ Diese Form der Kontrolle erlaubt es, die relative Wirksamkeit und Sicherheit der neuen Intervention im Vergleich zum klinischen Standard zu beurteilen.¹
Grenzen von RCTs
Trotz ihrer hohen Aussagekraft und methodischen Strenge sind RCTs mit mehreren praktischen und konzeptionellen Einschränkungen verbunden:¹
- Kosten und Aufwand: Die Durchführung eines RCTs kann mit erheblichen finanziellen und organisatorischen Belastungen verbunden sein. Insbesondere die Erhebung komplexer Outcomes wie genetischer Analysen oder aufwendiger Messverfahren erfordert spezialisiertes Personal und technische Ressourcen.¹
- Ethische Verantwortung: Die Auswahl von Interventionen und Dosierungen muss ethisch vertretbar sein. Besonders bei Präventionsstudien mit gesunden Teilnehmenden ist es unerlässlich, unnötige Risiken zu vermeiden und nur Maßnahmen zu testen, die potenziell einen Nutzen bringen.¹
- Begrenzte Generalisierbarkeit: Klassische Efficacy-RCTs werden häufig unter kontrollierten Bedingungen mit eng gefassten Einschlusskriterien durchgeführt. Dadurch kann die externe Validität – also die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Allgemeinbevölkerung – eingeschränkt sein.¹ Pragmatische Effectiveness-RCTs bieten hier eine Alternative, gehen jedoch zulasten der internen Validität.¹
Transparente Berichterstattung: CONSORT
Damit die Ergebnisse eines RCT nachvollziehbar und überprüfbar sind, reicht eine gute Durchführung allein nicht aus. Auch die Berichterstattung muss vollständig und transparent erfolgen. Genau hier setzt die internationale CONSORT-Initiative (Consolidated Standards of Reporting Trials) an. Sie stellt eine Checkliste und ein Flussdiagramm bereit, die sicherstellen sollen, dass alle wichtigen Informationen zu Design, Durchführung, Analyse und Ergebnissen eines RCT klar dokumentiert werden.²
Die aktuelle Version, CONSORT 2025, umfasst 30 Kernpunkte und betont zusätzlich Aspekte wie offene Wissenschaft, Datenzugänglichkeit und die Einbindung von Patient:innen in die Studienplanung.² Ziel ist es, die Qualität der Berichterstattung hochzuhalten und Verzerrungen durch unvollständige Angaben zu vermeiden.²
Fazit
RCTs sind ein mächtiges Werkzeug der Forschung, um die Wirksamkeit von Behandlungen oder Interventionen zu testen. Wenn du also das nächste Mal eine Schlagzeile über ein neues Wundermittel liest, sollte deine erste Frage lauten: „Wurde das in einer hochwertigen, randomisierten, kontrollierten Studie untersucht?“.
Referenzen zu "Was sind RCTs?"
Capili, B. (2023). A primer to the randomized controlled trial. American Journal of Nursing, 123(3), 47–51.
Hopewell, S., Chan, A.-W., Collins, G. S., Hróbjartsson, A., Moher, D., Schulz, K. F., Tunn, R., Aggarwal, R., Berkwits, M., Berlin, J. A., Bhandari, N., Butcher, N. J., Campbell, M. K., Chidebe, R. C. W., Elbourne, D., Farmer, A., Fergusson, D. A., Golub, R. M., Goodman, S. N., Hoffmann, T. C., Ioannidis, J. P. A., Kahan, B. C., Knowles, R. L., Lamb, S. E., Lewis, S., Loder, E., Offringa, M., Ravaud, P., Richards, D. P., Rockhold, F. W., Schriger, D. L., Siegfried, N. L., Staniszewska, S., Taylor, R. S., Thabane, L., Torgerson, D., Vohra, S., White, I. R., & Boutron, I. (2025). CONSORT 2025 statement: Updated guideline for reporting randomised trials. BMJ, 389, e081123.
Weiterführende Referenzen
- Higgins JPT, Thomas J, Chandler J, Cumpston M, Li T, Page MJ, Welch VA, editors. (2019). Cochrane Handbook for Systematic Reviews of Interventions. 2nd Edition. Chichester (UK): John Wiley & Sons